Demographie, zunehmende Entfremdung und steigende Austrittszahlen: Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder hat Donnerstag in der Göttinger Johanniskirche zum Thema „Kirche in der Gesellschaft – Herausforderungen und Chancen für eine gemeinsame Zukunft“ gesprochen. „Die Mitgliedschaft in einer Kirche ist wie unser gesamtes Verhalten eine Option geworden.“ Das heutige Paradigma sei nicht mehr Autorität, sondern vielmehr durch Authentizität gekennzeichnet. Zunächst gelte es also wahrzunehmen, was ist – „ohne klagenden Ton“. Die evangelische Theologin, die bis vor einigen Jahren selbst Pastorin in Göttingen war, sprach im Rahmen der Reihe „Auf:brüche“ der Göttinger Johanniskirchengemeinde in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Südniedersachsen. Im Anschluss diskutierte sie mit den Besucherinnen und Besuchern.
Dr. Ruck-Schröder benannte in ihrem Vortrag weitere Faktoren und Symptome des Wandels. So habe sich die Teilnahme an Sonntagsgottesdiensten in den vergangenen 30 Jahren halbiert. „Für 97 Prozent der Mitglieder ist das keine attraktive Sozialform.“ Gottesdienste seien zunehmend nur für eine binnenkirchliche Zielgruppe interessant. Gegen den rasanten Mitgliederrückgang gäbe es jedoch auch positive Signale: „Es gibt wieder sehr viel mehr Anmeldungen für Taufen.“ Dennoch zeichne sich insgesamt ein anderer Trend ab: „Beiden großen Kirchen gehören weniger als 50 Prozent der Menschen an. Wir werden zu einer Minderheit.“ Untersuchungen zeigten jedoch, dass Austritte aus der evangelischen Kirche am Ende eines langen Prozesses stünden, mit vielerlei Ursachen: Bedeutungsverlust, Ersparnis der Kirchensteuer oder auch Abbruch religiöser Traditionen in den Familien.
Das müsse zu einem Umdenken führen: „Wir brauchen Mut, über zeitgemäßes Christsein nachzudenken.“ Ruck-Schröder sprach auch von einer Fehlerfreundlichkeit, Projekte auszutesten. Zugleich warnte sie vor einer Überfrachtung besonders junger Pastorinnen und Pastoren, von denen klassische Gottesdienste ebenso erwartet würden wie das Bedienen von neuen Netzwerken: „Ständige Selbstoptimierung ist eine unevangelische Reflexion!“ Daher müssten auch neue Wege beschritten werden, jede und jeder sich mit seinen Gaben einbringen können. Aber eben auch „eine Kultur des Lassens“.
Die Kirche sei auf dem Weg von einer Institution hin zu einer Organisation und zu einer Bewegung.
„Das heißt nicht: Schafft Parochien ab und reißt Kirchen ein!“ Wichtig sei eine Rückbesinnung auf biblische Impulse, das Helfen zum Leben, gemeinschaftliches Feiern sowie Lehren und Lernen – von klein auf.
Nicht mehr alles könne von den Hauptamtlichen selbst angeboten werden.
Kirche werde zu einem „Assistenzsystem“, zitierte sie den praktischen Theologen Christian Grethlein, mit einer größeren Einbindung von Ehrenamtlichen wie etwa Lektor*innen und Prädikant*innen.
Und zudem müssten mehr auf inter- und multiprofessionelle Teams sowie eine stärkere ökumenische Zusammenarbeit gesetzt werden.
Erprobungsräume, in denen Kirche im Sozialraum wirke, etwa in diakonischen Projekten, seien daher umso wichtiger. „Natürlich tritt deswegen niemand sofort in die Kirche ein. Aber sie zeigen das Wirken in und für die Gesellschaft.
Sprengel Hildesheim-Göttingen/gmu