Im Harz, in Südniedersachsen und im Eichsfeld beginnt Weihnachten seit Jahrhunderten nicht mit lauten Gesängen, sondern mit zwei Liedern, die das Licht langsam kommen lassen: „Maria durch ein Dornwald ging“ und „Es ist ein Ros entsprungen“. Beide stammen aus dieser Region oder wurden hier überliefert – und beide erzählen die Weihnachtsnacht nicht als Moment, sondern als Weg.
Es sind Lieder, die nicht laut werden. Lieder, die nicht mit Engelschören beginnen, sondern mit einem Gehen. Mit Dornen. Mit Kälte. „Maria durch ein Dornwald ging“ setzt nicht auf Glanz, sondern auf Geduld – und genau darin liegt seine eigentümliche Kraft, gerade in der Weihnachtszeit.
Weihnachten ist hier kein Moment
Seine Wurzeln reichen weit zurück, vermutlich bis ins Spätmittelalter. Lange Zeit galt das als gesichert. Der Kirchenmusiker und Lieddichter Peter Baltruweit weist jedoch darauf hin, dass es Anzeichen für ein noch höheres Alter gibt. Demnach könnten einzelne Schichten des Liedes bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen.
Ein entscheidender Hinweis liegt in einem unscheinbaren, aber bedeutungsvollen Element, das den Ton des Liedes bis heute prägt: das Kyrie eleison – griechisch für „Herr, erbarme dich“.
Kyrie eleison und die alten Leisen
Dieses Gebet gehört zu den ältesten Elementen der christlichen Liturgie. Lieder, die diesen Ruf in sich tragen, werden als Leisen bezeichnet. Sie waren im Mittelalter weit verbreitet und lassen sich bis in die frühe Kirchenmusik des Hochmittelalters zurückdatieren. Dass „Maria durch ein Dornwald ging“ diesen Klang bewahrt hat, deutet auf ein erstaunliches Alter hin.