Frei sein, ohne gefragt zu werden – Hochschulgemeinde Hildesheim als queerfreundliche Gemeinde ausgezeichnet

Nachricht Hildesheim, 17. Mai 2025

Goldfarbene Sneaker lugen unter dem Schreibtisch hervor, an den Fingern glänzt grüner Nagellack. Auf dem Regal stapeln sich Bücher neben Legosteinen und bunten Plakaten. Im Büro von Pastor Jonathan Overlach sieht nichts nach klassischer Amtsstube aus – und genau das ist Programm. Hier, inmitten von kreativem Durcheinander, lebt die Haltung, die die Evangelische und Katholische Hochschulgemeinde Hildesheim jetzt auch offiziell auszeichnet: ein Raum zu sein, in dem alle Menschen so willkommen sind, wie sie sind.

 

Hierhin, an diesen Ort, kam vor einigen Semestern Anna*. Eine junge Studentin, Anfang zwanzig, die damals auf der Suche war: nach Anschluss, nach Glauben – und nach einem Platz, an dem sie ganz sie selbst sein konnte.
„Ich habe auf die Homepage der Hochschulgemeinde geguckt“, erzählt sie heute. „Da stand: Kirche für alle. Das hat mich sofort angesprochen.“

Doch Annas Weg zur Hochschulgemeinde war nicht nur eine pragmatische Entscheidung für ein Freizeitangebot. Es war eine tiefere Suche: Kann Glaube überhaupt Platz haben neben einer queeren Identität? Kann Kirche mehr sein als ein Ort der Fragen und der Prüfungen?
„Ich habe mich gefragt: Wie kann das sein – Glauben und meine Sexualität gleichzeitig?“, erinnert sich Anna. „An vielen Orten hatte ich gelernt, dass das nicht zusammengeht.“

An der Hildesheimer Hochschulgemeinde erlebte sie etwas anderes. Schon beim ersten Campusfest flatterten bunte Flaggen zwischen den Zelten. Niemand stellte Fragen. Niemand musterte sie. Stattdessen wurde sie einfach empfangen – mit offenen Armen.
„Was für andere vielleicht nur eine Flagge mit vielen Farben ist, war für mich ein Zeichen: Du bist hier frei. Ohne dass ich irgendwas erklären oder mich rechtfertigen musste.“

Für Räume wie diesen wurde die Evangelische und Katholische Hochschulgemeinde Hildesheim jetzt im Rahmen des Semestereröffnungsgottesdienstes ausgezeichnet. Vertreterinnen des Kirchenkreisjugenddienstes Hildesheim-Sarstedt überreichten die Safer-Space-Auszeichnung – eine Würdigung für Gemeinden, die sich aktiv für Respekt, Vielfalt und ein diskriminierungsfreies Miteinander einsetzen. „Es ist ein deutliches Zeichen“, sagt Pastor Overlach. „Ein Signal gegen jede Form von Ausgrenzung – gerade in Zeiten, in denen rechte Stimmen wieder lauter werden.“

Die Auszeichnung ist Teil der „Safer Space“-Kampagne des Kirchenkreisjugendkonvents. Sie will Gemeinden zu sicheren Orten machen, in denen Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Beeinträchtigung keine Rolle mehr spielen müssen. Mit Plakaten und Aufklebern soll diese Haltung sichtbar gemacht werden – nach innen und außen.

Doch der eigentliche Beweis dafür, dass diese Haltung gelebt wird, zeigt sich in Geschichten wie der von Anna. „Hier bin ich hundert Prozent ich selbst“, sagt sie mit klarer Stimme. Hier müsse sie sich nicht verstecken, nicht vorsichtig formulieren oder Angst haben, wer gerade mithört. „Hier hängt kein Schild an mir. Hier darf ich einfach sein.“

Jonathan Overlach und Klara Maria Breitkopf, Leiterin der Katholischen Hochschulgemeinde, setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Kirche sich wandelt. Breitkopf spricht vom Aufbruch: „Wir haben hier in Hildesheim einen fortschrittlichen Bischof – aber das ist längst nicht überall so.“ Gerade durch Initiativen wie „out in church“, bei der sich zahlreiche Menschen innerhalb der katholischen Kirche als queer geoutet haben, sei sichtbar geworden, wie groß der Handlungsbedarf sei.

Doch eine freundliche Willkommensbotschaft allein reicht nicht aus.
„Toleranz gegenüber Intoleranz gibt es bei uns nicht“, stellt Overlach klar. Respekt sei kein Vorschlag, sondern Grundbedingung. In der Hochschulgemeinde gebe es Toiletten ohne Geschlechterzuweisung, Periodenprodukte in allen Räumen – kleine Schritte, die große Wirkungen entfalten.

Für Anna ist es weit mehr als ein Detail.
„Es gibt hier einfach eine riesige Selbstverständlichkeit“, sagt sie. „Eine Freiheit, die ich vorher nie erlebt habe.“ In der Hochschulgemeinde habe sie zum ersten Mal erfahren, dass Kirche und queere Identität zusammenpassen können – nicht nur in Worten, sondern im gelebten Alltag.

Jetzt trägt die Hochschulgemeinde offiziell das Siegel „Safer Space“.
 

Für Anna ist die Botschaft längst klar: „Hier wirst du nicht gefragt, wer du bist, wen du liebst oder was du glaubst. Du bist einfach willkommen.“

Sprengel Hildesheim-Göttingen/ gmu