Historische Deutungen des Bauernkriegs: Zwischen Mythos und Realität

Nachricht Bursfelde, 26. Juni 2025

Bei den Bursfelder Gesprächen über Wissenschaft und Religion haben Historikerinnen und Historiker über Deutung, Motive und Folgen des Aufstands von 1525 diskutiert. In der Klosterkirche Bursfelde kamen in der vergangenen Woche die Oxforder Regius Professorin Lyndal Roper, der Dresdner Kriminalitätshistoriker Gerd Schwerhoff und der Göttinger Kirchenhistoriker und Bursfelder Abt Thomas Kaufmann zusammen. Gemeinsam gingen sie der Frage nach, wie sich Ursachen, Wahrnehmung und Nachwirkungen der Bauernkriege beschreiben lassen. „Die Bauern haben etwas gemacht, was ihnen in der damaligen Zeit nicht zustand“, erklärte Kaufmann. Im Mittelpunkt der Diskussion stand, wie ein Ereignis, das vor fast genau 500 Jahren rund 100.000 Menschen das Leben kostete, heute historisch, theologisch und gesellschaftlich eingeordnet werden kann. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Göttinger Frühneuzeit-Historiker Marian Füssel.

 Ursachen und Dynamik: Warum der Aufstand von 1525 eskalierte

Kaufmann warnte vor einer Heroisierung des Aufstands, wie sie vor allem im 19. Jahrhundert in Teilen wirksam geworden sei: „Sämtliche Helden des Bauernkriegs waren keine Bauern.“ Gleichzeitig sei das Geschehen von 1525 nicht isoliert zu betrachten. Frühere lokale Aufstände habe es bereits im 11. und 12. Jahrhundert gegeben. Die besondere Dynamik des Bauernkriegs sei aber nur vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umbrüche der Reformationszeit und der Wirkungskraft der Publizistik zu verstehen – nicht zuletzt durch den Buchdruck.

Roper berichtete, dass sie die Orte des Aufstands bewusst mit dem Fahrrad – wortwörtlich – erfahren habe, um ein Gespür für die Landschaft und die Logik der Entscheidungen zu gewinnen. Dabei sei ihr aufgefallen, wie falsch viele strategische Entscheidungen der Bauern kalkuliert waren. „Sie hatten keinen Masterplan, aber eine Vorstellung von einer Welt, in der alle gleich sind.“

Religion als Legitimationsrahmen:

Mehr als ein Glaubenskrieg

Schwerhoff widersprach einer grundsätzlich negativen Deutung des Begriffs „Bauernkrieg“: Zwar sei die Zahl der Aufständischen überschaubar gewesen, aber ihre Wirkung medial umso größer. Kaufmann wies auf die asymmetrische Berichterstattung der Sieger hin und erinnerte daran, dass selbst Luther das brutale Vorgehen der Obrigkeit ablehnte. „Zeitgenossen haben von Anfang an die Legitimität des Aufstands bestritten.“

Die religiöse Dimension war ebenso Gegenstand der Debatte. Kaufmann betonte den ethischen Impuls, der sich in den Zwölf Artikeln der Bauernschaft niederschlug. Dennoch, so Schwerhoff, müsse man die Rolle des Glaubens differenzierter sehen. Zwar habe die Reformation als gemeinsamer Bezugspunkt gewirkt, aber viele Aufständische hätten kaum theologisch durchdrungen, was sie unterstützten.

Roper ergänzte, dass die Bewegung stark antimonastisch geprägt gewesen sei: „Von 1239 Klöstern im Aufstandsgebiet wurden über 600 angegriffen.“ Die Ablehnung richtete sich gegen Klöster als Symbole von Macht, Besitz und Weltferne – weniger gegen das Christentum an sich.

„Sie hatten keinen Masterplan, aber eine Vorstellung von einer Welt, in der alle gleich sind.“ 

Lyndal Roper

Deshalb sei Religion, so eine präzisierte Einschätzung, weniger die alleinige Triebkraft des Aufstands gewesen als vielmehr ein Legitimationsrahmen, innerhalb dessen politische, soziale und ökonomische Forderungen formuliert wurden. Es ging also nicht um einen Glaubenskrieg im engeren Sinne, sondern um die Ausgestaltung konfessionell geprägter Ordnungen.

Thomas Müntzer im Fokus: Rebell, Visionär oder Demagoge?

Ein zentrales Thema war auch die Rezeption von Thomas Müntzer. Kirchenhistoriker Kaufmann bezeichnete seine Ideen als Ausdruck einer „theokratischen Gewaltfantasie“, wobei sich das Ziel seiner Kampfbereitschaft – die „Gottlosen auszurotten“ – immer wieder wandelte. Roper mahnte, man müsse ehrlich mit den demagogischen Elementen seiner Sprache umgehen. Gerd Schwerhoff wiederum begrüßte, dass die bisherige Fixierung auf Müntzer als zentrale Figur des Bauernkriegs zunehmend hinterfragt werde.

Erinnerungskultur im Wandel: Vom Heldenmythos zur kritischen Reflexion

Auch soziale und geschlechtsspezifische Aspekte wurden diskutiert. Frauen waren oft über ihre Familien indirekt betroffen und durch die Abwesenheit der Männer mitverantwortlich für das soziale Gefüge. Städte agierten dabei anders als ländliche Gebiete, was sich auch in den Handlungsspielräumen der Frauen spiegelte. Ein einheitliches Programm der Bauernhaufen habe es allerdings nicht gegeben, so Sozialhistoriker Schwerhoff. Dennoch, so Roper, sei die utopische Kraft des Gleichheitsgedankens nicht zu unterschätzen.

In einem letzten Teil wurde die Rezeptionsgeschichte beleuchtet. Kaufmann betonte, dass spätestens ab dem 18. und 19. Jahrhundert eine bewusste Bezugnahme einsetzte: Wer sich als „im Jahr x nach dem Bauernkrieg geboren“ bezeichnete, erkannte dessen Bedeutung an. In der DDR wurde das Thema stark ideologisch als „national konnotiertes Motiv in der marxistischen Erinnerungskultur“ gedeutet, wie Kaufmann formulierte.

Die Oxforder Professorin Roper beschrieb, wie in der Landschaft immer wieder Spuren des Aufstands auftauchen – etwa in Form von Flurnamen oder Gedenkzeichen. „Die Erinnerung an den Bauernkrieg ist immer lokal, nimmt unterschiedliche Formen an.“ In Ostdeutschland sei Thomas Müntzer prägend, in Westdeutschland eher der Gedanke der frühen Menschenrechte. Es sei an der Zeit, beide Narrative kritisch und kreativ zu verbinden.

Sprengel Hildesheim-Göttingen/ gmu

Info: Der Bauernkrieg von 1525

Der Bauernkrieg von 1525 war der größte soziale Aufstand im Alten Reich vor der Französischen Revolution. Hunderttausende Menschen – überwiegend Bauern, aber auch Städter – forderten mit den „Zwölf Artikeln“ eine gerechtere Gesellschaft. Sie verlangten unter anderem die Abschaffung von Leibeigenschaft, niedrigere Abgaben und eine freie Predigt des Evangeliums. Die Reformation sowie die neue Drucktechnologie wirkten dabei als beschleunigende Faktoren. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, über 100.000 Menschen starben. Die Erinnerung an den Bauernkrieg ist bis heute regional geprägt: Im Osten dominiert die Figur Müntzers, im Westen der Gedanke sozialer Gerechtigkeit. Historikerinnen und Historiker mahnen zu einem differenzierten Blick auf dieses zentrale Ereignis der deutschen Geschichte.