Lieder für die Erde: Die Hildesheimer Schöpfungslieder wollen Hoffnung singen

Nachricht Hildesheim, 06. Juni 2025

„In jedem Ton Staunen und Freude“ – so beginnt der Refrain eines neuen Liedes, das in der Hildesheimer Kirchenmusik bereits eine besondere Resonanz entfaltet hat. Gemeinsam mit dem Lied „Bruder Sonne“ bilden sie die Hildesheimer Schöpfungslieder – zwei frische, poetische und spirituell tief verwurzelte Alternativen zum viel gesungenen Klassiker Laudato si.

Was als kreative Idee bei einem ökumenischen Bildungstag im Grünen begann, entwickelte sich zu einem Projekt mit besonderer Strahlkraft: Angestoßen durch den Sonnengesang des Heiligen Franziskus und das zehnjährige Jubiläum der päpstlichen Umweltenzyklika „Laudato si“ entstand der Wunsch nach neuen geistlichen Liedern, die spirituelle Tiefe und Schöpfungsverantwortung miteinander verbinden.

Vertont wurden die Lieder von Michael Čulo, Domkantor am Hildesheimer Mariendom: „Ein Lied, das den Ton trifft – das ist eine schöne Herausforderung.“ Aus dem Geist des Sonnengesangs sind so zwei musikalische Geschwister entstanden.

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„Als erstes war der Chorus ‚In jedem Ton Staunen und Freude‘ in meinem Kopf und in meiner Stimme. Von ihm ausgehend entstanden die Strophen, die das Gegensätzliche des Textes musikalisch nachzeichnen. Im kreativen Flow entstand gleichsam unwillkürlich die Melodie von ‚Bruder Sonne‘ – verwandt, aber eigenständig. Zwei Geschwister, die tiefer in das Geheimnis von Gottes Schöpfung hineinklingen und hinaussingen.“

Ein mutiges Zeichen aus Hildesheim

Der Auslöser für die Initiative war ein ethisches Dilemma: Der Text des beliebten Liedes „Laudato si“ stammt von einem Autor, der sich sexueller Gewalt schuldig gemacht hat. Viele Christinnen und Christen – besonders in der Kinder- und Jugendarbeit – empfinden es seither als kaum noch tragbar, dieses Lied zu singen. Die Hildesheimer Schöpfungslieder wollen einen neuen, verantwortungsvollen Weg zeigen.

Ein musikalisches Geschwisterpaar mit Seele

Die Texte zu den beiden Liedern stammen von Susanne Brandt. Mit poetischem Gespür hat sie Worte gefunden, die sowohl Kindern als auch Erwachsenen zugänglich sind – sprachlich kraftvoll, zugleich durchlässig für spirituelle Tiefe. Ihre Texte verbinden die mittelalterliche Sprachstruktur des Sonnengesangs mit einer zeitgemäßen, lebensbejahenden Bildsprache.

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Uraufführung und Verbreitung

Die Uraufführung der beiden Lieder fand am Aschermittwoch 2025 im Pontifikalamt im Hildesheimer Dom statt. Seither waren sie mehrfach in der österlichen Bußzeit zu hören – etwa im Rahmen der Fastenpredigten.

Auch beim Verabschiedungsgottesdienst für die evangelische Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder erklangen die Lieder erneut. Die Resonanz war so positiv, dass die Idee entstand, die Lieder auch im evangelisch-lutherischen Sprengel Hildesheim-Göttingen bekannt zu machen.

Inzwischen wurden beide Stücke von der Mädchenkantorei am Hildesheimer Dom (Ökumenische Singschule) eingesungen und stehen als YouTube-Videos zur Verfügung – ein starkes Zeichen für gelebte Ökumene und gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung.

Jetzt anhören, mitmachen, weitertragen!

Gemeinden, Chöre, Musikgruppen und Interessierte sind eingeladen, sich die Hildesheimer Schöpfungslieder anzuhören, sie in den eigenen Gottesdiensten einzusetzen – und weiterzugeben.

Noten und Texte stehen auf der Homepage des Bistums Hildesheim zum Download bereit. 

Eine Einladung zur Veränderung – im Ton der Zeit

Die Hildesheimer Schöpfungslieder wollen mehr sein als nur neue Lieder für den Gottesdienst. Sie sind ein Zeichen für ökumenisches Miteinander, für poetische Hoffnung in krisenhaften Zeiten – und für einen ehrlichen Umgang mit kirchlicher Vergangenheit.

Gleichzeitig eröffnen sie neue Wege: für achtsames Singen, für eine zeitgemäße Schöpfungsspiritualität, für die Freude an Gottes guter Schöpfung.

Gemeinden sind herzlich eingeladen, die Lieder kennenzulernen, zu teilen und selbst zum Klingen zu bringen – in Andachten, im Unterricht, in großen Feiern oder kleinen Gruppen.

Denn: „In jedem Ton Staunen und Freude“ – das ist mehr als ein Refrain.

Eine Haltung, die trägt – als mutiges Zeichen aus Hildesheim.

Sprengel Hildesheim-Göttingen/ Gunnar Müller

800 Jahre Sonnengesang

Das Generationen-Musical „Barfuß in die Zukunft. Die Geschichte des Franziskus von Assisi“ von Pastorin Hanna Dallmeier (Michaeliskloster) und Pastor Thorsten Leißer war ein großer Erfolg beim Kirchentag in Hannover.

1225 dichtet Franziskus von Assisi den „Sonnengesang“ als Lobpreis auf Gottes Schöpfung: Bruder Sonne, Schwester Mond, Bruder Feuer und selbst Schwester Tod. In äußerer Dunkelheit, doch innerlich erleuchtet, lässt er sich das Lied kurz vor seinem Tod vorsingen, nackt auf der Erde liegend. Auch 800 Jahre später hat das älteste Werk italienischer Literatur nichts an Aktualität verloren – es wurde neu ins Deutsche übertragen und vertont, um erneut Hoffnung und Ehrfurcht vor der Schöpfung zu wecken.

Das Schlusslied „Bruder Sonne, Schwester Licht“ steht nun als gemeindetaugliches Lied allen zum gemeinsamen Singen zur Verfügung.

Noten und Musical (Michaelskloster)

Franz von Assisi

Vor genau 800 Jahren wurde in Italien ein berühmtes Gedicht verfasst. Der Autor heißt Giovanni und wächst zunächst unbeschwert als Sohn eines reichen Tuchhändlers auf. Im Militärdienst bewährt er sich und wird Offizier. Eine junge und energische Führungskraft, die ihren Weg geht – bis er in Gefangenschaft gerät. Er lernt die Schattenseiten des Lebens kennen und betreut nun Kranke und Aussätzige.

Als er in seinen Heimatort in den Hügeln Umbriens zurückkehrt, zieht er vor den Augen einer großen Volksmenge seine prunkvollen Kleider aus. Er verlässt die Stadt, lebt in Armut und entwickelt ein besonderes Gespür für die Natur. Dafür findet er Worte wie diese: „Gelobt seist du, mein Herr, mit all deinen Geschöpfen. Schwester Sonne besonders, die den Tag macht und durch die du uns erleuchtest.“

Schwerkrank und fast blind verfasst der Mönch noch kurz vor seinem Tod jenes berühmte Gedicht, das acht Jahrhunderte überdauern soll. Die letzten Zeilen widmet er im Jahr 1225 der Versöhnung unter den Menschen: „Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen. Selig jene, die solches ertragen in Frieden.“ Naturverbundenheit und Friedensethik – beides brauchen wir heute erst recht. Auch 800 Jahre nach der Entstehung des berühmten „Sonnengesangs“ von Franz von Assisi.

Jan von Lingen