Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus – in Solidarität und Mitgefühl mit Israel

Nachricht Berlin, 25. Oktober 2023

Rede der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus bei der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor

Liebe jüdische Geschwister,

mein Herz ist wie zerschmolzenes Wachs. Mein Herz schmilzt vor Trauer und brennt vor Zorn. Und die Zunge klebt mir am Gaumen, wenn ich rede. Denn anmaßend schmeckt jedes Wort, das vorgibt zu verstehen und nachzufühlen. Und jedes Beteuern von Solidarität kommt mir seltsam abgestanden und abgeschmackt vor. Nein, wir können nicht verstehen, wie es Euch in diesen Tagen geht. Es liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft, wie sich das anfühlt und was das bedeutet, was am 7. Oktober geschehen ist. Deshalb suche ich Hilfe bei der Sprache der Psalmen.

Denn auch wenn es keine Worte gibt, wäre es falsch zu schweigen. Was ich sehe, zerreißt mir das Herz. Und es muss immer und immer wieder ausgesprochen sein: Wir sind solidarisch mit Israel. Wir sind solidarisch mit Euch, den Jüdinnen und Juden hier in Deutschland. Es beschämt mich, es macht mich traurig, wenn ich höre, wie Jüdinnen und Juden sagen: „Hier in Deutschland bin ich nicht sicher, und jetzt ist mir auch noch meine Heimstätte Israel genommen.“ Ihr sollt wissen, und ich sage das laut: Die evangelische Kirche steht an Eurer Seite!

© Bündnis Solidarität mit Israel

Zugleich sage ich kleinlaut: Antisemitismus hat seine Wurzeln nicht bei den anderen. Er blüht nicht nur in kleinen extremen Gruppen. Er kommt aus unserer christlichen Geschichte, er keimt in unserer Mitte.

Antisemiten sind auch unter unseren Kirchenmitgliedern. Das ist weder schicksalhaft noch gottgegeben. Wir haben es nicht ernst genug genommen. Es lässt sich verändern. Wir werden weiter dagegen arbeiten. Unbedingt.

Und auch dies werden wir: dem antimuslimischen Ressentiment widerstehen. Es tarnt sich als Israelfreundlichkeit. Aber wir durchschauen es. Es ist purer Rassismus.

Freundinnen und Freunde des Lebens!

Gott ist ein Gott des Lebens, oder es ist nicht Gott. Das ist die Grundgewissheit des Glaubens, und zwar in allen Religionen. Wer diese Wahrheit verlässt – in Hass oder Verblendung – der öffnet das Tor zur Hölle.

Es gibt kein Vertun:
Massenmord ist Gottlosigkeit!
Antisemitismus ist Gotteslästerung!
Es gibt keine Rechtfertigung für Judenhass.
Und jeder Versuch, das Massaker vom 7. Oktober zu relativieren, ist Antisemitismus.

Jedes „Ja, aber“ verharmlost.

Wer geplant und mordlustig Häuser überfällt und die Menschen, die darin leben, schändet, schlachtet, verschleppt, der ist kein Gotteskrieger, kein Widerstandskämpfer, kein Märtyrer. Er ist nur eins: ein Massenmörder.

Wer junge Menschen, die singen und tanzen, foltert, vergewaltigt, massakriert, hat keine religiöse oder politische Rechtfertigung verdient, sondern Verurteilung und Strafe.

Es war ein antisemitischer Pogrom, der den Freudentag Simchat Tora in einen Trauertag verkehrt hat. Da hat sich ein wütender Wille ausgetobt: der schreckliche Wille, jüdisches Leben zu vernichten. Die Täter der Hamas sind keine Volksbefreier, sie sind Geiselnehmer. Sie halten die gekidnappten Jüdinnen und Juden in Folterhaft. Und auch die palästinensische Bevölkerung von Gaza wird von ihnen als Geisel gefangen gehalten.

Ich möchte mir die Ohren zuhalten vor den lärmenden Parolen und dogmatischen Reden der Alles- und Besserwisser im Nahostkonflikt. Würdelose Rechthabereien und schlaumeiernde Erklärungen bewirken allerlei, aber der Gerechtigkeit dienen sie nicht. Sie lenken ab von dem, worauf es in diesen Tagen ankommt: alles, aber auch alles Menschenmögliche zu tun, damit die in den Tunneln der Hamas gefangenen Geiseln zu ihren Familien zurückkehren können.

Als Hiobs Freunde zu ihm kommen, werfen sie Staub gen Himmel und auf ihr Haupt, sitzen mit ihm auf der Erde, sieben Tage und sieben Nächte lang, und reden nichts. Weil sie sehen: Sein Schmerz ist sehr groß. So steht es in der Bibel.

Liebe jüdische Geschwister,

ich werfe keinen Staub zum Himmel, aber ich gebe Euch mein Wort und versichere Euch: Unser Platz ist an Eurer Seite.

Es gilt das gesprochene Wort

EKD

Link zur Rede von Annette Kurschus