Gemeindepastorin, in der Berufsschule, im Predigerseminar, nun Regionalbischöfin. Was haben Sie immer wieder mitgenommen?
In meiner Zeit an der Berufsschule habe ich intensive Momente erlebt. Von dort nehme ich immer die Neugier von jungen Menschen mit, die ganz anders sind als ich, anders leben, aus anderen Milieus kommen, anderen Berufen nachgehen, andere Themen haben, mitten im Leben stehen. Als Gemeindepastorin habe ich den Schatz der Ehrenamtlichen vor Ort erlebt und gleichzeitig die kollegiale und regionale Zusammenarbeit schätzen gelernt.
Im Predigerseminar in Loccum wurde mir deutlich, dass die jungen Generationen von Pastorinnen und Pastoren mit neuen Pfarrbildern unterwegs ist und natürlich auf neue Herausforderungen zugeht. Meine Anliegen war und ist es, diese junge Generation darin zu stärken, die Veränderungsprozesse in der Kirche mutig voranzubringen und mitzugestalten.
Ist die Kirche bereits im Umbruch?
Ja, in Zukunft wird nicht mehr jede Kirche einen Pastor, eine Pastorin haben können. Wir werden das Miteinander der kirchlichen Berufe stärken müssen. Die Kirchen im Osten Deutschlands gehen uns da schon voraus. Auch die Ehrenamtlichkeit gewinnt an Bedeutung. Es gibt schon jetzt zunehmend mehr Prädikantinnen und Lektoren, aber nicht, um Lücken zu füllen. Im Gegenteil. Wir haben auch hier eine neue Generation von sehr gut ausgebildeten, hoch engagierten und theologisch interessierten Ehrenamtlichen, die sich in den Kirchen einbringen. Und die möchten, dass ihre Theologizität anerkannt wird, dass sie theologisch auch etwas zu sagen haben und Verantwortung übernehmen. Und gleichzeitig brauchen wir weiterhin akademisch gebildete Theologinnen und Theologen. Möglicherweise werden Pastor*innen vielleicht noch mehr „im Hintergrund arbeiten als im Vordergrund“, eher als Trainerin oder Ermöglicher, wie der Praktische Theologe Jan Hermelink das formulierte.
Das ändert das Bild von Kirche radikal?
Es stimmt, dass es was in unserem Selbstbild verändert. Wir werden weniger eine „Pastorenkirche“ sein. Die Praxis der Kirche wird wieder mehr eine gemeinsame Praxis werden. Mehr Beteiligungskirche werden. Für uns evangelische Christinnen und Christen ist es der Auftrag von uns allen, Seelsorge zu betreiben, für andere zu beten. Die Leitungder Sakramente und die Predigt bedürfen einer besonderen Ausbildung und Beauftragung. Ehrenamtliche im Verkündigungsdienst bringen zum Beispiel ihre je eigene berufliche Expertise und Erfahrung mit ein in ihren Dienst. Und das ist ein Schatz. Das bedeutet natürlich nicht, dass Pastoren und Pastorinnen überflüssig sind. Sie haben die Aufgabe, Kirche als Kirche zusammenzuhalten und immer wieder die Grundlagen unseres Glaubens einzuspielen, aber auch mutig notwendige Veränderungen auf den Weg zu bringen. Ich stelle mir Kirche wie einen Garten vor, in dem alte Kulturpflanzen und neu aufgehende Blüten nebeneinander wachsen.
In der Kirche gibt es traditionell denkende Pastor*innen und
queere Lebenswelten - wie passt das zusammen?
An den beiden „Polen“ leben evangelische Christinnen und Christen ihr Leben nach bestem Wissen und Gewissen und in voller Überzeugung. Was bewegt sie so zu handeln? Was ist die Botschaft und der Kern des Glaubens? Und wo bringen die Frommen etwas zum Ausdruck, was queere Pastorinnen nicht zum Ausdruck bringen können – und genauso anders herum? Der Diskurs, ja der Streit darüber lohnt sich. Ich finde das insgesamt einen enormen Reichtum in unserer Kirche. Grenzen sind aber da, wo man den anderen den Glauben abspricht. Pastor*innen bringen in ihrem Beruf ja den christlichen Glauben und die gegenwärtige Lebenswelt immerzu in einen Dialog. Fragen der Lebensführung und persönlichen Überzeugung gehören dazu. Und da gibt es nun eine feine Grenze. Die muss immer wieder ausgelotet werden: Wo beziehen Pastor*innen zu Recht Position und wo missbrauchen sie ihre berufliche Stellung dazu, mit ihrer ganz privaten Meinung scheinbar für die ganze Kirche zu sprechen?
Queer und LGBTI sind oft Reizworte im Blick auf die Bibel...
Unter akademisch gebildeten Theolog*innen besteht Konsens darüber: Die Bibel kann nur hermeneutisch erschlossen werden, das heißt: immer im Kontext ihrer Zeit. Wir tragen aus heutiger Sicht häufig Fragen an die Bibel heran, die die Bibel so noch gar nicht im Blick hatte, zum Beispiel die bürgerliche Ehe und Familie. Die Bibel kennt sie gar nicht. Sie ist ja erst ein Kind des 19. Jahrhunderts. Viele heutige gesellschaftliche Lebenswirklichkeiten können nur schwer direkt mit Aussagen der Bibel kommentiert werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, was die Bibel sozialethisch zu Treue und zum fürsorglichen Zusammenleben von Menschen sagt.