Regionalbischöfin als Zeitzeugin: „50 Jahre Mädchen in Blaubeuren“

Nachricht Blaubeuren, 21. Oktober 2024

Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder war vor Kurzem als Podiumsteilnehmerin zu Gast an ihrer alten Schule: Mit einem besonderen Begegnungsfest und Zeitzeuginnen haben die Evangelischen Seminare Blaubeuren und Maulbronn in Baden-Württemberg ein Jubiläum der besonderen Art gefeiert. Seit 50 Jahren können auch Mädchen die renommierte Ausbildungsstätte besuchen.

Zwei historische Gründe führten dazu, dass ab den 1970er Jahren auch Mädchen an den Evangelischen Seminaren unterrichtet werden konnten. Zum einen wurde Ende der 60er Jahre die Frauenordination in Württemberg eingeführt, was die Aufnahme von Schülerinnen in die traditionell für Jungen reservierten Schulen logisch erscheinen ließ. Zum anderen wollte man die Seminare angesichts der sinkenden Nachfrage attraktiver gestalten. „Man habe dann beschlossen, dass es auch attraktiver für die Seminare sei, wenn man auch Schülerinnen aufnimmt“, erklärte Ephorus Jochen Schäffler.

Das Jubiläum bot die Gelegenheit, auf 50 Jahre erfolgreiche Gleichstellung und Bildungsgeschichte zurückzublicken.

Heute gibt es an den Seminaren in Maulbronn und Blaubeuren sogar mehr Mädchen als Jungen. Die Schulen bieten Platz für je 25 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang, sind staatliche Gymnasien und bieten ein Stipendium, um allen unabhängig vom Einkommen der Eltern den Besuch zu ermöglichen. Eine Aufnahme in die 9. Klasse erfolgt über das „Landexamen“, eine mehrtägige Aufnahmefreizeit. In den höheren Klassen ist ein Quereinstieg möglich.

Lebendige Berichte von Zeitzeuginnen

An die Anfangszeiten der Mädchen im Seminar erinnerten fünf ehemalige Absolventinnen. Beeindruckt waren sie damals von den vielen Diskussionen, den Schutzräumen und der „Laborsituation“ an der Schule. Die Lehrer hätten sie von Anfang an ernst genommen und Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung geboten, die Seminare seien von Vertrauen und Freiheit geprägt gewesen.

Studienstiftung/Hahn/ gmu

Seminarzeit als „Schule der Freiheit“

Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder habe sich 1980, als damals 14-Jährige, aus eigenen Stücken für das „Semi“ entschieden, sagte sie dem Pressebeauftragten des Evangelischen Kirchenbezirks Blaubeuren, Eberhard Fuhr, in einem Interview am Rande der Veranstaltung.

„Ich war in Stuttgart auf dem Evangelischen Mörike-Gymnasium und ich war fasziniert von dem Gedanken, auf ein Internat zu gehen, und fand Griechisch zu lernen unglaublich exotisch“, so Ruck-Schröder. Das Seminar war für sie eine Schule der Freiheit, eine Schule, die sie angeregt habe, selber zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Nach ihrer Überzeugung müssen die Seminare Orte bleiben, „an denen Menschen exemplarisch miteinander lernen können, mit allen Konflikten, die dazu gehören, also die evangelische Konfliktkultur einüben. Dazu könnte auch gehören, dass man interreligiöses Lernen stärker strukturell verankert, mit Angehörigen anderer Religionen als Schülerinnen und Schülern, um das Miteinander von Religionen, religiösen Haltungen und religiöser Praxis zu erlernen, das finde ich eine spannende, zukunftsweisende Überlegung.“

Das Seminar war für mich eine Schule der Freiheit, eine Schule, die mich angeregt hat, selber zu denken und Verantwortung zu übernehmen.

Regionalbischöfin Dr. Adelheid Ruck-Schröder

Drei Fragen an Regionalbischöfin Adelheid Ruck-Schröder

Warum haben Sie damals als 14-Jährige an das Seminar in Maulbronn und dann nach Blaubeuren gewechselt? War das Ihre Entscheidung oder die Ihrer Eltern?


Adelheid Ruck-Schröder: Das war auf jeden Fall meine eigene Entscheidung. Ich war in Stuttgart auf dem Evangelischen Mörike-Gymnasium und ich war fasziniert von dem Gedanken, auf ein Internat zu gehen, und fand Griechisch zu lernen unglaublich exotisch. Ich hatte meinen Vater dazu überredet, dass wir mal nach Maulbronn fahren und uns das anschauen, und dann war ich endgültig begeistert und wollte unbedingt dahin. Meine Eltern fragten mich, warum ich aufs Internat möchte, da ich dort meine Freiheit aufgeben müsse. „Daheim bist du doch besser bedient“, sagten sie. Aber ich hatte große Lust, auf diese Schule zu gehen.

Was haben Sie vor allem aus dieser Seminarzeit für Ihr Theologiestudium und Ihre beruflichen Stationen mitgenommen?


Ruck-Schröder: Ganz äußerlich hatte ich alle drei Sprachen für das Theologiestudium gelernt, eine elegante Voraussetzung, und habe davon sehr profitiert. Ich habe aber viel mehr mitgenommen. Das Seminar war für mich eine Schule der Freiheit, eine Schule, die mich angeregt hat, selber zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Damals wurde ein paritätisches Gremium eingerichtet, in dem Schüler und Lehrer Dinge der Schule gemeinsam besprechen und auch beschließen durften. Wir mussten auch unsere Freizeit selbst gestalten. Ich bin hier zur Eigenverantwortung angeregt worden und auch zu einem ganz freien Christsein. Wir haben unheimlich viel hinterfragt und durch die Lehrer wurden uns Welten erschlossen. Die Lehrer haben alle durch ihre Person ihr Fach repräsentiert, und davon habe ich mein Leben lang profitiert. Für mich war die Botschaft: Du darfst Dinge hinterfragen und grundlegende Fragen des Menschseins bedenken, und das hat mich als Jugendliche begeistert.

Welche Bedeutung haben aus Ihrer Sicht die Seminare in Maulbronn und Blaubeuren heute? Sind diese heute noch wichtig?


Ruck-Schröder: Eine gute Bildungslandschaft in einer pluralen Gesellschaft braucht Schulen, die ein Profil haben. Und die Seminare haben das Zeug dazu, ein evangelisches Profil abbilden zu können. Wir brauchen evangelisch geprägte Menschen in allen Bereichen und Berufen. Wir wurden damals nicht auf das Theologiestudium hin getrimmt. Uns wurden Horizonte eröffnet. Man wird sicher diskutieren müssen, wie das Profil der Seminare in Zukunft aussieht. Könnten die alten Sprachen erweitert werden, vielleicht auch mit Chinesisch? Ich glaube schon, dass man etwas Krasses und Exotisches machen muss. Da würde ich auch mutiger andere Dinge dazunehmen, aber Religion gehört auf jeden Fall zum Profil dazu.


Die Seminare müssen Orte bleiben, an denen Menschen exemplarisch miteinander lernen können, mit allen Konflikten, die dazu gehören, also die evangelische Konfliktkultur einüben. Dazu könnte auch gehören, dass man interreligiöses Lernen stärker strukturell verankert, mit Angehörigen anderer Religionen als Schülerinnen und Schülern, um das Miteinander von Religionen, religiösen Haltungen und religiöser Praxis zu erlernen. Das finde ich eine spannende, zukunftsweisende Überlegung.

 

Die Fragen stellte Eberhard Fuhr,

Pressebeauftragter des Evangelischen Kirchenbezirks Blaubeuren.

Evangelischer Kirchenbezirk Blaubeuren/ Eberhard Fuhr