Gorka: „Gott hat keinen Gefallen am Leiden der Menschen“

Nachricht Hildesheim, 18. November 2020

Der evangelische Regionalbischof Eckhard Gorka ist in seiner Predigt zum Buß- und Bettag auf die Corona-Pandemie und den Umgang der Kirchen eingegangen. „Das ist auch eine kritische Anfrage an die liturgische Gestalt unserer Gottesdienste“, sagte Gorka.

Regionalbischof Eckhard Gorka predigte zum Buß- und Bettag in der Michaeliskirche.

„Wen feiern wir, wenn wir feiern? Vermisse ich das Singen oder das gemeinsame Gotteslob? Sind wir schon so weit, dem Tun des Gerechten im Zweifel mehr Gewicht beizulegen als dem Gottesdienst im Welterbe?“ Beim „Evensong“, ein Abendlob nach dem Vorbild der anglikanischen Kirche, spielten Kirchenmusikdirektorin Angelika Rau-Čulo und Kirchenmusiker Michael Čulo Werke von Johann Sebastian Bach auf der Woehl-Orgel.

 

Zudem wurde erstmals in der Michaeliskirche das „stille Musikstück“ 4’33 des Komponisten John Cage aufgeführt, dass die Vorstellung von Musik infrage stellt und in dem während der Dauer des Stückes kein einziger Ton erklingt.

 

„Es gibt kein richtiges Beten im falschen Leben“

 

„Es gibt kein richtiges Beten im falschen Leben“, sagte Gorka. Das Virus habe sich des Atmens bemächtigt: „Es will uns das Gotteslob im Hals ersticken.“ Meinungen, nach denen die Pandemie als Zorn Gottes zu deuten sei, widersprach der Regionalbischof aber: „Gott hat keinen Gefallen am Leiden der Menschen.“

 

Gorka dankt Mitarbeitenden in der Pflege, im Rettungs- und Ordnungsdienst

 

Christus habe in Worten und Taten auch dann weiterhin Zugang zu Menschen, wenn Altenheime und Krankenhäuser nur einzeln und zeitlich begrenzt betreten werden dürften. Schon deshalb sei es keine Zeit des Zornes Gottes. „Dann sitzt Christus an den Betten derer, die wir nicht besuchen dürfen.“ Diese Zeit sei Gott eine Last, „aber er wird nicht müde, sie mit uns zu tragen“. Zugleich dankte Gorka allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Pflege, Rettungs- und Ordnungsdiensten für ihren Einsatz.

 

„Der Buß- und Bettag ist ein guter Ort, uns zu vergewissern, dass unser liturgisches Handeln, unser Beten und Hören im Gottesdienst begründungspflichtig bleibt.“ 

 

Noch in der Passions- und Osterzeit sei der Vorwurf erhoben worden, dass die Kirchen geschlossen hätten, „statt Gott frech in den Ohren zu liegen“. Es gelte, das Leben Gefährdeter zur schützen, er dann die rituelle Selbstaufladung. „Erst Ethik, dann Kultur und Ritual“, so der Regionalbischof. „Unsere Zählungen nennen nur die Infizierten, die Genesenen und die Toten. Ich vertraue darauf, dass bei Gott Freude über das Schicksal derer herrscht, die wir schützen konnten.“

 

„Es ist leichter, Gott um Vergebung zu bitten, den wir nicht sehen, als unseren Nächsten, den wir sehen.“  Und wenn wir dann umkehren, unser Leben erneuern lassen, dann müssen wir ebenso eingestehen, dass es auch dann ein Leben mit neuen, hoffentlich besseren Fehlern sein wird. „Gott wird nicht müde, uns zu tragen.“ Gott gehe es um Heil und Heilung, so Gorka weiter – trotz aller Schrammen und Druckstellen und blauen Flecken im Leben.

 

Zur Info:

Der evangelische Buß- und Bettag wurde erstmals 1532 in Straßburg begangen. Doch erst seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Tag auf den Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag und damit an das Ende des Kirchenjahres gelegt. Mit Ausnahme von Sachsen wurde der Buß- und Bettag als gesetzlicher, arbeitsfreier Feiertag 1995 zur Finanzierung der Pflegeversicherung ersatzlos gestrichen. Dennoch bleibt er für Protestanten weiterhin ein kirchlicher Feiertag. Evangelische Christinnen und Christen sehen den Buß- und Bettag als Tag der Umkehr, der Nachdenklichkeit und der Besinnung zu Gott.